Deisenroth, Werner

Sommer 1980/ Bilder von Ettore Sottsass

Das Magazin LUI Deutschland gab mir damals den Auftrag, Designer in Mailand zu fotografieren.
Das Wunder von Mailand war Titel der Reportage. Ich wusste damals sehr, sehr wenig darüber, wie Form prägend werden könnte. Nicht einmal darüber, wie sie eigentlich entstand.

Ich reiste nach Mailand. Machte dort artige Besuche. Bei Giorgio Armani. Mario Bellini. Magistretti und anderen. Sagte überall artig, dass ich froh wäre, wenn mir solch bedeutsame Menschen bei der Visualisierung ihrer Formalität helfen würden. Ich war beeindruckt von den Palazzi, in denen Armani und Bellini residierten und arbeiteten. Es schien, als wäre ich über den Wolken auf dem Olymp der Gestaltung. Letzter auf meiner Liste war ein Herr namens Sottsass. Am Telefon ein völlig neuer Eindruck.

Nichts bedeutungsvolles. Keine Terminvorgaben. Keine „Zeitfenster“. „Komm einfach mal vorbei“….

Ich traf Ettore in seinem damaligen Büro in der Via Manzoni. Kein Palazzo. Keine Empfangssekretärin.
Jetzt trinken wir erst einmal einen Kaffee. Sagte Ettore. Kein Heldentum und keine Arrangements für einen schnellen Pressetermin. Die Zeit stand plötzlich. Und es begann eine Beziehung, deren zufälliger Anlass so unwichtige Dinge waren wie ein paar Bilder. Aus ein paar Stunden wurden Tage. Miteinander reden war wichtiger. Ettore rief mich dann an und sagte, er habe einen Plan gefasst. Wir würden morgen das Bild machen, das ihn darstellen sollte. Treffen um 6.oo Uhr morgens. Zusammen mit seinen „Mitstreitern“ (Matteo Thun, Aldo Cibic und andere) fuhren wir in einem Monster (Ettore fuhr damals einen alten Opel Rekord. Ich, Autonarr, begann furchtsam mein Bild von „Erfolg“ neu zu bewerten, wenn das Auto in den Kurven so klang wie die Taxen die ich früher in Moskau kennen lernte.) Wir fuhren zum Ticino.
Dort stellte Ettore die „bandiera gialla“ auf. Die Pest sei ausgebrochen im Design in Milano. Sagte er mir.
Fragen Sie mich nicht warum. Aber ich glaubte, er habe Recht. Heute weiss ich es.

Danach haben wir noch ein paar Bilder gemacht. Immerhin sollte ich ja auch meinen Job erledigen können, meinte er.
Es waren – neben ein paar Aufnahmen für das Magazin ART im selben Jahr – die einzigen Bilder, die ich von Ettore gemacht habe. Danach war es unsere Beziehung, die Bedeutung hatte. Ich hätte mich nie danach dazu hinreissen lassen, diese Beziehung wieder in ein Bild einfliessen zu lassen. Oder sogar gegen Geld „unsere Verbindung“ zu visualisieren. Undenkbar.

Was Sie in diesen Bildern sehen ist ein kurzer Abriss, der Beginn einer Faszination, die bis heute besteht.
Ich wäre erleichtert, wenn diese wenigen Bilder etwas davon auf Sie übertragen könnten. Denn jetzt sind sie Erinnerung.

Werner Deisenroth